FAZ vom 13.02. 2012 Was brauchen wir am dringendsten in unserer „Ritalingesellschaft“?

ADHS – eine fabrizierte Erkrankung?

Eine gewagte These: Ist ADHS eine erfundene psychische Erkrankung als Bezeichnung für Kinder, die einen eigenen Kopf haben und sich nicht bereitwillig überall anpassen? Kinder, wie wir sie haben wollen, Querdenker und Kreative, die wir brauchen in unserer Gesellschaft? Die wir nun mit Psycho-Pillen gefügig machen und dabei ihr Potential eher gefährden? Schaffen wir uns, überdramatisierend, erhoben den drohenden Zeigefinger, unsere eigene Statistik einer psychisch kränkelnden Gesellschaft?

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Dies ist eine gefährliche These. Was, wenn wir dabei Kindern ihre Bildunsgkarriere verbauen, ihnen den Zugang zu ihren Ressourcen versperren, verweigern, Steine aus dem Weg zu räumen, um später einen Beruf zu ergreifen, der ihren Begabungen entspricht?

Aus meiner Erfahrung in 8 Jahren mit mindestens 400 AD(H)S Kindern muss ich an dieser Stelle mit aller Überzeugung die Beobachtung teilen, dass besagte Tabletten blockierte Ressourcen frei setzen können, Kindern Lebensqualität, Lern- und Leistungsmotivation, und vor allem Selbstwertgefühl, zurückzugeben vermögen.

Kindern, die schwierig sind, Tabletten verabreichen, ist zu einfach. Den Eltern und Lehrern die „Schuld“ geben für komplexeste soziologische, psychologische und bildungspolitische Phänomene, mit denen wir uns heute als Gesellschaft befassen müssen, ist genauso einfach. Wir brauchen die „AD(H)S Kinder“, nicht auf Sonderschulen! Als Kinder, die selbstbewusst ihren Weg gehen, ihre Meinung sagen und dabei ernst genommen werden.

Falsch, Methylphenidat, der Wirkstoff, den Ritalin enthält, macht nicht abhängig. Studien zeigen, dass der Einsatz von Stimulanzien wie Ritalin die Suchtgefahr bei AD(H)S-Kindern senkt. Ebenso das Risiko, an Depressionen zu erkranken.

Ich bin eine starke Befürworterin genauer Diagnostik, vor allem, Kinder, und nicht nur Berichte ausführlich anzuschauen und ihnen aufmerksam zuzuhören. Kinder, die ein verhehrendes psychisches Leid mit sich herum tragen und psychoreaktiv AD(H)S Symptome zeigen, sollten nicht mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Kinder, die schweren Leidensdruck haben, weil es ihnen nicht gelingt, sich im schulischen Alltag anzupassen, sollten auf AD(H)S überprüft und ggf. medikamentös behandelt werden.

Wir brauchen keine Pillen, sondern Zeit für Kinder? Doch, wir brauchen sie, die Pillen, manchmal. Wir brauchen Diagnostiker, die sich die Zeit nehmen, genau zuzuhören. Eltern, die ihrem Bauchgefühl wieder vertrauen lernen. Männer, die soziale Berufe ergreifen, als Vorbilder für Jungs, und ein bildungspolitisches Modell, welches dies begünstigt. Und in jedem Fall: GANZ VIEL ZEIT für Kinder! Nach wie vor.

Und, nein, ich habe keinen Vertrag mit der Pharmaindustrie.

Sarah Hartmann

 

 

 

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